Die Idee steht am Anfang. Die eine Idee, die den Markt verändern soll. Viele sind auf der Suche nach diesem Funken, der den eigenen Erfolg entzündet. Und viele sind sich sicher, ihn gefunden zu haben. Beinahe täglich lesen wir von neuen Start-up-Unternehmen, die die Szene aufrütteln wollen – mit neuartigen Produkten, innovativen Dienstleistungen und kreativen Ansätzen. Im digitalen Zeitalter finden viele dieser Ideen im Netz statt. Doch glaubt man Experten, scheitern neun von zehn Start-ups und verschwinden nach kurzer Zeit wieder. Denn neben einer guten Idee braucht es mindestens ein ebenso gutes Konzept und bedingungslose Hingabe, damit sich ein kleiner Funken zu einem Lauffeuer entwickelt. Überstehen Start-ups die ersten Hürden, haben sie gute Chancen, sich am Markt zu etablieren. Solche Start-ups – mit einer guten Idee, einem herausragenden Konzept und vielversprechender Perspektive – stellen wir in unsere Reihe Start-up Picks vor. In loser Reihenfolge sprechen wir mit den Köpfen, denen die Ideen entsprungen sind, oder mit Menschen, die Teil dieser Unternehmens-Idee sind. Was braucht ein Start-up, um sich behaupten zu können, und was sind die entscheidenden Erfolgskriterien in diesem Prozess, vor allem im Hinblick auf die Kommunikation im Social Web? Außerdem erklären die Experten, wie sich aus einem Einfall ein laufendes Unternehmen entwickelt. Im ersten Teil der Serie stellen wir den privaten Carsharing-Anbieter Drivy vor.
Links und rechts der Straßen deutscher Städte stehen sie – große, kleine, rote, blaue, schwarze, grüne, edle und charakterstarke Autos. Und sie tun vor allem eben dies: stehen. „Die meisten in Deutschland zugelassenen Fahrzeuge stehen fast 23 Stunden am Tag still“, sagt Gero Graf, seit August 2014 Deutschland-Geschäftsführer des privaten Carsharing-Anbieters Drivy. Die Autovermietungs-Plattform, die 2010 in Frankreich startete und dort bereits sehr erfolgreich ist, bietet Autobesitzern die Möglichkeit, ihren Wagen sinnvoll einzusetzen, – auch wenn sie ihn gerade nicht selbst benutzen. „Die Leute besitzen einen zehn-, zwanzig- oder dreißigtausend Euro teuren Wertgegenstand, der den Großteil der Zeit ungenutzt bleibt.“ Den Franzosen gefällt das Angebot, mittlerweile sind im Drivy-Mutterland 500.000 Nutzer und 26.000 Autos registriert. Das Prinzip des Carsharings gewinnt in Deutschland ebenfalls an Beliebtheit. So bietet zum Beispiel car2go, Daimlers Carsharing-Tochter, mittlerweile in sieben deutschen Städten Fahrzeuge für gut 160.000 Nutzer an. Seit Ende vergangenen Jahres gibt es auch Drivy in Deutschland, nach dem Start in Berlin plant die Plattform nun weitere Großstädte wie München, Köln und Düsseldorf zu erobern. Wie die Kollegen in Frankreich setzt auch das fünfköpfige deutsche Drivy-Team dabei ganz klar auf die Vermittlung von Fahrzeugen zwischen Privatpersonen.
Gero Graf, Deutschland-Geschäftsführer bei Drivy (© Drivy)
Mit dem Begriff des privaten Carsharings verbinden viele sicherlich innerstädtische Angebote von Anbietern, die auf Minuten- oder Stundenpakete bauen. „Unser Konzept setzt hier etwas anders an, weil es zwischen Privatpersonen stattfindet“, erklärt Graf. Autobesitzer können ihren Wagen auf die Plattform stellen und für die Zeit vermieten, in der sie ihn selbst nicht benötigen. Nutzer, die ein Auto mieten wollen, suchen sich ein passendes in ihrer Nähe, entweder im Web oder per App. Für beide Seiten ist die Anmeldung kostenlos. Zentrale Abholstellen gibt es nicht, die Schlüsselübergabe erfolgt persönlich zwischen Mieter und Vermieter. Drivy übernimmt dabei die Rolle des Kontaktvermittlers.
Wer einen Wagen bucht, zahlt einen vom Besitzer festgelegten Preis, der alle Kosten deckt (Drivy bietet Richtwerte an). Davon gehen 30 Prozent ab, an Drivy selbst und die Partnerversicherung. Denn für die Sicherheit von beiden Vertragspartnern arbeitet das Unternehmen mit der Allianz zusammen. Sobald der Mietvertrag abgeschlossen wurde, tritt für die gesamte vereinbarte Mietdauer eine eigens entwickelte Ad-hoc-Versicherung ein, nicht die Versicherung des Vermieters. Sie beinhaltet eine Haftpflicht-, Teil- und Vollkaskoversicherung mit Selbstbeteiligung. Außerdem können Mieter einen 24-Stunden-Pannendienst kostenlos nutzen. Das System setzt sich, so beschreibt Graf es, von anderen Modellen durch drei Merkmale ab:
- „Zunächst ist Drivy günstiger als professionelle Autovermietungen. Das kommt natürlich vor allem daher, dass die vermieteten Privatautos meist nicht brandneu sind.“ Für einen ganzen Tag zahlen Kunden laut dem 34-Jährigen durchschnittlich 25 bis 35 Euro. Insgesamt ein fairer Preis, findet Graf.
- Der zweite große Vorteil sei die Nähe, da die Abholstationen in der ganzen Stadt, potenziell sogar in der direkten Nachbarschaft, zu finden sind. „Das ist natürlich ein herausragendes Merkmal, denn alleine in Berlin haben wir schon jetzt 180 Autos auf unserem Portal, und es werden jeden Tag mehr“, sagt Graf. Nutzer seien somit nicht mehr darauf angewiesen, zu einem zentralen Abholpunkt zu gelangen, sondern hätten, um beim Beispiel Berlin zu bleiben, 180 Mietstationen. Anders als bei Modellen mit zentralen Stationen gibt es bei Drivy in der Regel pro Abholpunkt nur ein Auto, das je nachdem nicht immer zur Verfügung steht. Interessenten sollten sich also früh genug informieren, ob sie das Fahrzeug zum gewünschten Zeitpunkt mieten können.
- Drittens sei die Vermietung persönlich – die Beteiligten könnten sich selbst ein Bild vom Gegenüber machen, sodass eine gewisse Art von Vertrauen entstehe. „Ich habe auf diese Weise schon Leute in Hamburg, München, Berlin und in Paris kennengelernt, von denen ich mir mehrfach ein Auto geliehen habe“, erinnert sich der Deutschland-Geschäftsführer.
Neben dem eigentlichen Produkt sei ein gut funktionierendes System im Hintergrund mitverantwortlich für den Erfolg von Drivy – denn eine schöne Webseite alleine reiche nicht, wie Graf verdeutlicht: „Wir legen großen Wert auf das operative Geschäft und kümmern uns zum Beispiel intensiv um unsere Community. Es ist unser Anspruch, dass jeder, der ein Auto mieten möchte, auch eines bekommt.“ Sollte ein Nutzer Probleme haben, müsse der Kundenservice in der Lage sein, in jeder Situation weiterzuhelfen.
Refinanzierung des Autos
Von diesem Service können nun auch Autofahrer in immer mehr deutschen Städten profitieren. 800 Anbieter gibt es nach Firmen-Angaben bundesweit bereits. Ein ordentlicher Start, findet Gero Graf: „Damit sind wir bisher absolut zufrieden, denn wenn man zum Beispiel in Köln am ersten Tag 20 Autos zur Verfügung hat, hat man de facto auch 20 Mietstationen vor Ort.“ Derzeit beschränke sich das Angebot noch vor allem auf Großstädte, doch dort sei das Feedback bisher so gut, dass der bundesweite Start möglicherweise schneller komme, als gedacht. Damit würden mittlere und kleine Ortschaften ebenfalls bald zur „Drivy-Familie“ gehören. Deutschland mit seinen rund 44 Millionen Autos auf der Straße ist als Markt für Drivy extrem spannend. Graf rechnet vor: „Wenn wir den Großraum Köln anschauen, haben wir ca. 1,5 Millionen Einwohner und etwa eine Million Autos. Gewinnen wir von dieser Million nur ein Prozent für Drivy, haben wir zehntausend Autos, die man in Köln nutzen kann. Mit diesem Angebot hätte man in jeder Straße und an jeder Ecke mehrere Autos zur Anmietung verfügbar. Das wäre bereits mehr als genug.“ Nun gelte es, den Menschen bewusst zu machen, dass ihr Wagen sie laufend Geld koste. Und zwar nicht nur durch die Anschaffungs-, sondern auch durch die Haltungs- und Wartungskosten. Pro Jahr summiere sich das ungefähr auf ein- bis zweitausend Euro. Drivy-Vermieter könnten diese Kosten ausgleichen und ihren Wagen teilweise refinanzieren.
Einige Drivy-Mietstellen in Berlin (© Drivy)
Der Zeitpunkt für den Einstieg in den deutschen Markt ist günstig für Drivy. Das Interesse an der Branche wächst stetig. Nach Angaben des Bundesverbands CarSharing gibt es mittlerweile über eine Million Anmeldungen auf Carsharing-Plattformen. Das Modell der Sharing Economy ist durch Angebote wie Airbnb in den letzten Jahren bekannter geworden, auch die Idee des innerstädtischen Carsharings ist in den Köpfen vieler Menschen mittlerweile angekommen. Drivy muss den Menschen das Konzept also nicht von Grund auf neu erklären, sondern kann die bekannten Prinzipien erweitern. Mit seiner Grundidee passt Drivy sich laut Gero Graf den veränderten Bedürfnissen der Bürger an: „Ich denke, das Modell ist deswegen so erfolgreich, weil immer mehr Menschen den Besitz eines Autos als Statussymbol nicht notwendigerweise wollen, aber dennoch ab und zu die Flexibilität und Unabhängigkeit benötigen.“
Ein Teil des fünfköpfigen Drivy-Teams (v.l.): Gero Graf (Geschäftsführung), Christiane Jakobs (PR & Kommunikation), Julie Moskovits (Marktplatzmanagement), Daniel Bulygin (Marketing) (© Creative Commons)
Bei diesem Trend, den Graf beschreibt, darf man aber nicht außer Acht lassen, wie sich die Lebensbedingungen in den Städten verändert haben. Viele junge Menschen haben heutzutage längere Ausbildungszeiten, verschieben ihre Familiengründung, sind mit befristeten Arbeitsverträgen und hohen Mieten in Innenstadtbereichen konfrontiert, wie Prof. Dr. Holger Rust, Professor für Wirtschaftssoziologie, in einem Interview erklärt. Ein Kontext, in dem das Auto zunächst seine Funktionalität verliert. Auf dem Land hingegen, wo das Auto als Fortbewegungsmittel noch eine größere Rolle spielt, dürfte sich derweil noch ein anderes Bild zeigen. Im Gegensatz zu Grafs Aussage, zeigt die Continental Mobilitätsstudie 2015, dass auch junge Fahrer es vorziehen, ein eigenes Auto zu besitzen, wenn es ihr Geldbeutel hergibt. Das gaben laut Studie 85 Prozent der Teilnehmer zwischen 18 und 35 Jahren an. Für diejenigen, die sich schlichtweg kein Fahrzeug leisten können, ist Carsharing aber sicherlich interessant.
Ab aufs Land
Als Konkurrenz zu traditionellen Autovermietungen oder innerstädtischen Carsharing-Anbietern wie Car2Go oder DriveNow sieht Drivy sich nicht. Die Plattform richte sich eher an Kunden, die einen Wagen für mehrere Tage – etwa einen Wochenendausflug aufs Land – buchen wollen, nicht nur für ein paar Stunden. Nicht jeder, der einen Führerschein hat, kann übrigens einen Wagen buchen. Mieter müssen mindestens 21 Jahre alt sein und wenigstens zwei Jahre einen Führerschein besitzen. Bei manchen höherwertigen Autos gilt: 25 bzw. 28 Jahre alt und seit drei Jahren einen Führerschein. Man könnte annehmen, dass vor allem junge Nutzergruppen wie Berufseinsteiger einen Drivy-Wagen mieten, die Wahrheit sieht aber anders aus. Die primäre Altersstruktur liegt laut Gero Graf zwischen 25 und 45 Jahren. Vom Single zum Familienvater sei alles dabei. Teilweise gebe es aber sogar Mieter im Alter von 60 oder 70. „In Hamburg hatten wir zum Beispiel eine ältere Dame, die etwas außerhalb lebt. Sie ist über die Medien auf uns aufmerksam geworden und hat dann gesehen, dass genau bei ihr in der Nähe ein Auto angeboten wird. Daraufhin meldete sie sich bei uns und meinte, dass sie unseren Service gerne in Anspruch nehmen würde, um besser in die Stadt hinein zu kommen.“
Drivy gibt es auch als App. (© Drivy/Stefan Wieland)
Neben den klassischen Medien legt Drivy viel Wert auf Kommunikation über soziale Netzwerke. Auf Twitter veröffentlicht das Unternehmen regelmäßig Tipps und Empfehlungen, etwa zu der besten Strecke von A nach B. Auch Neuigkeiten aus der Carsharing- und Automobil-Szene werden geteilt. „Wir wollen einfach zeigen, dass wir im Bereich Mobilität an einem starken Austausch Interesse haben und die Diskussion weiter vorantreiben“, erläutert der Drivy-Insider den Social-Media-Ansatz.
Aktuell hat Drivy seinen Konkurrenten Buzzcar übernommen und ein zusätzliches Investment von 8 Millionen Euro erhalten. Wie das Unternehmen mitteilt, beläuft sich mit dieser dritten Finanzierungsrunde der Gesamtbetrag, der inzwischen in Drivy investiert wurde, auf insgesamt 16 Mio. Euro. Eine Geldspritze, die Drivy unter anderem für die Expansion in weitere europäische Märkte nutzen möchte. So wie die Mitbewerber car2go, der in 30 Städten in Europa und Nordamerika vertreten ist, oder DriveNow, der es in fünf deutschen Städten sowie London, Wien und San Francisco gibt, möchte das Unternehmen sich weiter vergrößern. Im Frühjahr und Sommer sollen die Vorbereitungen für einen bundesweiten Start laufen. Für Spanien, England und Italien gibt es nach Angaben von Graf ebenfalls schon Pläne. Eine Herausforderung könnte sein, Leute dazu zu bewegen, den Service zu nutzen. Es braucht schon ein gewisses Vertrauen, sein Auto einem Fremden zu überlassen. „Für uns ist es am wichtigsten, dass der Autobesitzer wie auch Mieter schnell seine erste Anmietung macht“, so Graf. Das Erlebnis der ersten Anmietung sei bei der Mehrheit der Autobesitzer wie auch der Mieter das Aha-Erlebnis. „Danach sehen wir einen starken Vertrauenszuschuss und das Feedback ist zu 98 Prozent positiv.“ Hat Drivy Erfolg, sind die Zeiten der Großstadtschluchten, die an den Rändern mit parkenden Autos gesäumt sind, vielleicht wenigstens teilweise bald vorbei. Dann machen Autos wieder das, wofür sie gedacht sind: fahren.
Gero Graf vor dem Kölner Dom. In der Rhein-Metropole gibt es Drivy jetzt auch.