Über Service, Dichtung und Wahrheit am scheinbar blauen Himmel

Sonntag vor Ostern, 11.30 Uhr. LH 408 nach Newark steht an Gate A89 des Düsseldorfer Flughafens zum Einsteigen bereit, ein Airbus 340 mit dem Namen “Viersen”. Es ist der erste Abschnitt einer schnellen Reise um die Welt – in einer Woche zunächst nach New York, dann weiter nach Peking, und schließlich zurück nach Paris.

Grund ist der Messekalender der Autoindustrie, der in diesem Jahr gleich mehrere Überschneidungen aufweist: so liegt der Pressetag der “Auto China” in Peking, der größten asiatischen Automobilmesse, ausgerechnet auf Ostersonntag und parallel zur New York International Auto Show. Später im Jahr wird die Auto Guangzhou wiederum parallel zur Auto Show in Los Angeles laufen – ein Schelm, der sich nichts dabei denkt.

Drei Langstreckenflüge in acht Tagen, mit Lufthansa, United und Air France. 33 Stunden Flugzeit, fast 13.000 Meilen oder 20.000 Kilometer – ein Härtetest, wo der Wettbewerb unter den Airlines am stärksten ist: in der Business Class. “Nonstop you” behauptet Lufthansa in ihrer laufenden Kampagne, “Fly the friendly skies” lädt United ein, “France is in the Air” lockt Air France mit dem Versprechen von Savoir Vivre in 10.000 Meter Höhe.

Dichtung oder Wahrheit?

aussicht “Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein” (Songtext 1974) //
© Thinkstock

“Nonstop you”: LH 408, Düsseldorf – Newark

Die “Viersen” gehört mit einem Alter von 15 Jahren zu den älteren Langstreckenjets in der Lufthansa-Flotte. Nur 20 Flugzeuge sind noch länger im Einsatz, Rekordhalter “Düsseldorf”, eine Boeing 747-400, seit 1991.

Immerhin ist der Airbus A 340 seit kurzem mit der neuen Lufthansa Business Class mit sogenannten Full-Flat-Sitzen ausgestattet. Kaum ein Thema hat in den letzten Monaten zu so viel Ärger und Kritik unter Reisenden geführt wie das Schneckentempo der Lufthansa bei der Einlösung von vollmundigen Werbeversprechen.

Fast zwei Jahre ist es her, seit im Mai 2012 der erste Airbus mit der neuen Business Class in München abhob. Von einem “Raumwunder” schwärmte Lufthansa im Pressetext und lobte – überraschend – noch einmal das bisherige Modell: “Er galt als die große Innovation der Luftverkehrsbranche (…) und hat an Attraktivität nichts verloren”. Der euphemistische Schwanengesang für das Auslaufmodell (von Vielfliegern auch als “Rutsche des Grauens” veralbert) hatte einen guten Grund: für die Umrüstung der Flotte plante Lufthansa zu diesem Zeitpunkt mehr als drei Jahre ein.

lh_2 Die neuen Sitze in der Business Class der Lufthansa. Die Werbung dafür läuft seit August 2012, die Umrüstung noch immer. //
© Lufthansa

Zwar startete bereits im August 2012 eine breite Werbekampagne für das neue Angebot, (“Im Taxi: eingecheckt. Im Airport: Lounge entdeckt. Im Flieger: ausgestreckt”), allerdings war es eine – leider Lufthansa-typische – Mogelpackung. Denn zu diesem Zeitpunkt waren gerade fünf neu ausgelieferte Maschinen mit der neuen Bestuhlung ausgestattet, die Umrüstung der fast 90 Maschinen umfassenden Bestandsflotte hatte noch nicht einmal begonnen.

Bei der Umgestaltung der Kurzstreckenflotte 2011 war es nicht besser. Vollmundig bewarb die Airline das großangelegte Umbauprogramm als “neuen Europakomfort”. Zitat: “Dank des neuen, von international renommierten Designern gestalteten Interieurs werden Sie sich künftig auf Ihren Lufthansa Flügen innerhalb Deutschlands und Europas noch wohler fühlen”. Die Adressaten sahen das anders und beschwerten sich in Vielfliegerforen im Internet vehement über den allzu offensichtlichen Verlust an Platz, Komfort und Service. “Neuer Europakomfort = Sparprogramm” konstatierte “viennacalling” auf airline-bewertungen.eu, und “SEN 2007” kritisierte “Zuviel Marketing bei zuwenig effektiver Verbesserung” auf vielfliegerforum.de, das sein Diskussionsforum zur neuen Kabinenausstatung mit einem wenig schmeichelhaften Zitat überschrieb: “Nun ist es wirklich Holzklasse”.

Lufthansa, das war viele Jahre lang ein Symbol für deutsche Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Sicherheit, aber auch für einen erstklassigen Service über den Wolken. Die deutschen Grundtugenden sind geblieben, beim Service rangiert Lufthansa in einschlägigen Befragungen mittlerweile abgeschlagen hinter den führenden asiatischen Airlines (allen voran die legendäre Singapore), den gefürchteten Angreifern aus den arabischen Emiraten (Emirates, Etihad), aber auch hinter jungen, aggressiven Wettbewerbern wie Turkish Airlines, die der Lufthansa zunehmend zahlungskräftige Premium-Kunden abjagen.

Vielleicht musste der langjährige Markenclaim “There is no better way to fly” deswegen dran glauben und wurde 2012 durch das leistungsneutrale “Nonstop you” ersetzt.

“Nonstop you”: Motiv aus der laufenden Lufthansa-Kampagne. //
© Lufthansa

Es ist 12.15 Uhr, als LH 408 in Düsseldorf abhebt. In der Business Class findet sich wegen der Osterferien ein ganz anderes Publikum als sonst zusammen; mehrere Familien sind darunter und nicht weniger als 8 Kinder und Jugendliche. 3570 mi, rund 5750 km sind es bis Newark, die Flugzeit ist mit 8.25 h vergleichsweise lange berechnet. Grund sind starke Winde über dem nördlichen Atlantik, so dass der Pilot heute eine fast gerade Route Richtung Westen wählt.

Kurz vor 13 Uhr beginnt der Service mit ersten Getränken. 15 Minuten später folgt das Tablett mit Vorspeise – lecker: der Bachsaibling mit Blumenkohl-Pinienkernsalat – und kleinem Salat als Zwischengericht.

Der Beilagensalat – ein kleines Porzellanschälchen mit ein paar Blatt Feldsalat, Radiccio und Frisee, dazu ein Plastiktöpfchen mit 22 ml Bärlauch-Dressing – ist wie eine Metapher für das Dilemma der Lufthansa. Als die Luftfahrtbranche in der Finanzkrise 2009 weltweit in die Krise flog, schreckten die Controller der Lufthansa auf der Suche nach Einsparpotentialen nicht einmal vor dem Streichen des kleinen Salats zurück – bei Ticketpreisen von mehreren tausend Euro.

Heute unvorstellbar: Lufthansa “Senator Dienst” in der ersten Klasse mit Koch und Steward im Jahr 1958. //
© LH-Bildarchiv / Lufthansa

Letztes Jahr war er im Zuge der Aufwertung der Business Class wieder da – zusammen mit größeren Stil-Weingläsern, frischen Saucen, Salz- und Pfeffer-Streuern eingedeckt auf dem Tablett (zuvor musste man extra um eines der Papier-Tütchen bitten, wenn der Getränkewagen kam – Einsparung: ein Centbetrag) und einem gesponserten Labello-Stift im Amenity-Kit.

Dem neuen Lufthansa-Chef Carsten Spohr scheint zu schwanen, dass das noch nicht ausreicht, um den Kampf um den Kunden angesichts der erstarkten Konkurrenz langfristig zu gewinnen. Im März kündigte er an, bis Ende 2015 mehr als eine Milliarde Euro zu investieren, um in allen Passagierklassen ein Fünf-Sterne-Niveau zu erreichen. Trotz gelegentlicher Höchstleistung, zitierte dpa den Lufthansa-Lenker, “erleben unsere Gäste die Topqualität nicht immer”. Spohr plane 200 Mitarbeiterseminare für über 2500 Servicekräfte mit intensiver Schulung in Servicekultur und Kundenorientierung.

Frequent Traveller statt Jetset: 1979 wurde bei Lufthansa erstmals eine Business Class in den Langstreckenjets eingeführt. //
© Fritz Dressler / Lufthansa

Es ist 13.50 Uhr, als das Hauptgericht auf den Tisch kommt, eine Matelote von Flussfischen in Rieslingsauce als eine von drei Wahlmöglichkeiten, eine halbe Stunde später folgen Kaffee (leider immer noch kein Espresso, der ist der First Class vorbehalten), Dessert und Digestiv. Um 14.45 Uhr, zweieinhalb Stunden nach dem Start, ist der Service abgeschlossen und viele der Gäste fahren die Sitze für einen Mittagsschlaf in die Liegestellung. Das neue Business-Gestühl ist mit seiner horizontalen Liegefläche deutlich besser als das Vorgängermodell, allerdings sind die Sitze auch schmaler geworden und der Fußraum ist spürbar beengt. Da haben die Controller nach dem Beilagensalat ein neues Betätigungsfeld gefunden.

Pünktlich um 14.35 Uhr landet LH 408 in Newark Liberty International Airport, wie “EWR” offiziell heißt. Der Himmel ist stahlblau und wolkenlos, wie man aus der überfüllten Immigration Hall sehen kann. In der Ferne hält Lady Liberty ihre Fackel in die Höhe, als ob sie die über der New York Bay kreisenden Flugzeuge einwinken wollte.

Lufthansa Foto Service an Bord einer Lockheed L 1049 G “Super Constellation” der Lufthansa 1958 //
© LH-Bildarchiv / Lufthansa

Fast 60 Jahre ist es her, seit die wiedergegründete Lufthansa am 9. Juni 1955 ihre Nordatlantik-Route von Hamburg und Frankfurt nach New York mit der legendären Lockheed Super Constellation wieder aufnahm. Zu den Innovationen des Service-Konzepts gehörten – wie ein zeitgenössischer Prospekt diskret anpreist – “Comforette”-Schlafsitze sowie ein elektrischer Rasierer für Gentlemen. Und unter dem (überraschend zeitlosen) Motto “Catch up on your mail” wurde an Bord eine “Prinzess”-Reiseschreibmaschine samt “Dimafon”-Diktiergerät für das Erledigen der Korrespondenz bereitgehalten.

Von solchem Fortschrittseifer und Ehrgeiz ist die Airline aus dem Land der Dichter, Denker und Ingenieure heute leider weit entfernt.

“Fly the friendly skies”: UA 89 Newark – Beijing

United Flug 89 ist mit fast 14 Stunden Flugzeit einer der längsten Nonstop-Flüge, dies es gibt. Viel länger kann man auf den Flugbahnen rings um den Globus kaum unterwegs sein, seit Singapore Airlines seine Ultra-Langstreckenflüge von Singapur nach Newark (ca. 16.000 km, gut 18 Stunden) und Los Angeles (ca. 14.000 km) im Herbst 2013 aus wirtschaftlichen Gründen wieder eingestellt hat. Umsteigeverbindungen über Hubs sind meist wirtschaftlicher zu betreiben.

“Welcome Aboard” – für 14 Stunden. UA 89 ist einer der längsten Nonstop-Flüge im United-Netz. //
© United Airlines

Die Boeing 777 in spezieller “Long Range” Konfiguration mit Zusatztanks verlässt Gate C 102 um 13.50 mit zwei Stunden Verspätung. Grund: Einer der Piloten hatte seinen Zubringerflug verpasst. Das wird aber erst bekannt, als das Flugzeug schon geboarded ist und 267 Passagiere in der ausgebuchten Maschine ihre Plätze eingenommen, das Handgepäck verstaut und es sich – je nach Klasse mehr oder weniger – bequem gemacht haben. Während die Stewardessen in der “Business First” die ersten Erfrischungen verteilen, piepsen, summen und vibrieren Passagier-Handys um die Wette, als eine SMS von United die Verspätung ankündigt. Überraschung: Die Crew weiß noch gar nichts davon.

Vor dem Start in Newark: Die Boing 777-200LR “Worldliner” ist das Zivilflugzeug mit der größten Reichweite. Die reguläre Reichweite liegt bei 9.380 nautischen Meilen (rund 17.370 km), der Rekord bei über 21.000 km.

Dann das Kommando: Bitte alle aussteigen. 267 Passagiere stehen auf, packen ihre Siebensachen zusammen und reihen sich in die Schlange Richtung Ausgang ein. Eineinhalb Stunden später das gleiche Spiel zurück ins Flugzeug. Zwar fehlt der Pilot noch immer, aber es gibt zum zweiten Mal Getränke und Hoffnung.

u_1 “Business First” Sitz der United: Farblich etwas trist, aber funktional und bequem. //
© United Airlines

Um 14.18 sind wir endlich in der Luft. In Peking ist es jetzt 2.18 Uhr morgens, die berechnete Ankunftszeit ist 16.22 Uhr. Auch wenn sie (und wir) über 14 Stunden Zeit haben – die Stewardessen legen beim Service ein beeindruckendes Tempo vor. Time is money oder mehr Freizeit, auch über den Wolken. Nur 20 Minuten nach dem Start wird der Tisch eingedeckt, fünf Minuten später folgen Wasser, warme Nüsse und die Abfrage der Getränkewünsche, nur weitere drei Minuten braucht das erste Glas Pouilly Fumé – 28 Minuten nach Abflug. Bei Lufthansa haben sie da noch nicht einmal den Getränkewagen beladen.

// Über „Always On The Road“

OSK ist ständig in Bewegung: Fast das ganze Jahr über sind wir für unsere Kunden „on the road“, oft auch im Ausland. Rund die Hälfte der Agentur-Projekte findet außerhalb Deutschlands statt, seit 1993 waren wir in über 40 Ländern auf vier Kontinenten im Einsatz. In „Always on the road“ stellen wir regelmäßig Locations vor, die wir für Projekte scouten, auf Dienstreisen besuchen oder für Veranstaltungen nutzen. Dazu zählen neue Hotels, besondere Restaurants und coole Bars ebenso wie interessante Regionen und Städte, attraktive Teststrecken sowie nicht zuletzt spannende Gebäude, Museen und Galerien. Auch spannende Geschichten, die wir im Rahmen von Agenturreisen exklusiv recherchieren, sind in dieser Rubrik zu finden.

Das Essen ist typisch amerikanisch: reichhaltig, lecker, schörkellos. Jumbo shrimps und Lachs als Appetizer, dazu warmes Knoblauchbrot, ein ordentlicher Salatteller mit getrockneten Tomaten, Mozarella, Oliven und Croutons, anschließend ein Steak mit Rotweinsauce, mashed potatoes, Bohnen und Karotten als Hauptspeise, eine ordentliche Käseplatte und als Dessert Vanilleeis mit Erdbeer- oder Schokoladensauce. Kaffee gibt es aus einer echten “Coffee mug” und nicht aus putzigen Tässchen wie bei Lufthansa, als ob Kaffee noch ein Luxus wäre wie in der Nachkriegszeit.

Der Unterschied ist frappierend: Der United-Service ist schnell, effizient, überraschend individuell, aber nur so oberflächlich freundlich, wie es “You are welcome” eben ausdrückt. Lufthansa ist im Vergleich dazu typisch deutsch. Perfektionistisch, dabei etwas technokratisch, die Service-Abläufe wie vom DIN-Institut geplant und normiert, die Crew dabei aber recht herzlich, auch wenn sie nicht aus München kommt.

u_4 “Fly the friendly skies”: Seit 2013 wirbt United wieder mit ihrem klassischen Slogan aus den 60er Jahren. //
© United Airlines

“Fly the friendly Skies” lautet der Slogan der weltgrößten Airline seit September 2013 – wie schon von 1965 bis 1996, über 30 Jahre lang. Der rasche Wechsel der Claims in der Zeit dazwischen ist beispielhaft für das Auf- und Ab der amerikanischen Airlines und die anhaltende Suche nach Identität nach einer langen Phase mörderischen Wettbewerbs, Insolvenzen, Konkursen und Mega-Mergern, die das Gesicht der Branche nachhaltig verändert haben. “Fly the friendly skies” war ebenso populär wie mittlerweile – angesichts des erbärmlichen Service-Niveaus – falsch, als es 1996 durch “Rising” abgelöst wurde, was gut zur bedingungslosen Kapitalmarktorientierung jener Jahre passte. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde das selbstbewusste “Rising” durch das verbindende “We are United” abgelöst. Aus dem ab 2004 folgenden “It’s time to fly” wurde nach der Fusion mit Continental Airlines 2010 schließlich “We fly together” – bis zur Renaissance der “friendly skies” vor wenigen Monaten.

Bezog sich der Claim in den 60er Jahren in erster Linie auf den Service an Bord und die persönliche Absprache der Fluggäste, versteht United “flyer-friendly” heute als “user-friendly” – als ganzheitliche Kombination aus Service, Technologie und Produktverbesserungen.

Mittlerweile ist es schläfrige 21.30 Uhr – 9.30 Uhr in Peking. 35.000 Fuß Höhe, minus 57 Grad Fahrenheit Außentemperatur zeigt die “Air Show” im Entertainment-System an. Mit 620 mph Geschwindigkeit über Grund fliegen wir dem Ziel entgegen. Noch sechs Stunden bis Peking. Die Flugroute – normalerweise von New York aus nordwestlich und in einem großen Bogen über die Hudson Bay nach Alaska und entlang der Aleuten wieder südlich nach Sibirien und China, geht heute nordöstlich über Grönland und weiter über die Barentssee nördlich von Russland, bevor sie auf Höhe der langestreckten Insel Novaya Zemlia Richtung Südosten abknickt “Wahrscheinlich die Winde”, vermutet eine der Flugbegleiterinnen, während sie den “Mid Flight Snack” verteilt, chinesische Nudelsuppe mit grünem Tee.

Halbzeit: Irgendwo über dem Nordpolarmeer zwischen Grönland und der russischen Insel Nowaja Semlja (“Neues Land”). //
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Noch achteinhalb Stunden ins Hotel und unter die Dusche. Vierzehn Stunden seit Abfahrt in Manhattan. Welche Zeit? Welche Zone? Es ist abends. Es ist morgens. Jet Set. Jet Lag.

Einen Abend-/Morgenschlaf, Orangensaft, Kaffee, Eier mit Speck später sind wir da. Milchige Sonne, Smog, der PM 2,5-Wert liegt laut Air-Quality-App der US-Botschaft bei 230 und ist damit “very unhealthy”. Effiziente Grenzkontrolle, wie immer. Viel Betrieb in der Ankunftshalle, Stau vor dem Aufzug ins Parkhaus, Gehupe an der Ausfahrtsschranke. Welcome back. Große Plakate werben an der Flughafenausfahrt für Audi, BMW, Mercedes und die am Ostersonntag beginnende Auto China. Endlich mal eine Automesse.

“France is in the Air”: AF 381 Beijing – Paris

“France is in the Air”, wirbt Air France seit März in Print-Medien und auf allen digitalen Kanälen. Nachdem die Airline 15 Jahre lang, “den Himmel zum schönsten Platz auf Erden machen” wollte, möchte sie jetzt auf kreative Art und Weise die Anstrengungen kommunizieren, mit denen die Airline ihr Angebot höherwertiger platzieren möchte. 500 Millionen Euro sollen im Rahmen des “Transform 2015”-Programms für neue “Suitensitze” in der Business Class, eine neue First Class “La Première” und andere Service-Upgrades ausgegeben werden, gleichzeitig aber auch zwei Milliarden eingespart werden, um das finanzielle Ergebnis der defizitären Airline zu verbessern.

af_1 Neue Air France Business Class: Bis jetzt leider nur ein Mock-up für‘s Foto-Shooting. //
© Air France

Die neue Kampagne zeigt in sechs Motiven, wohin die Reise geht: “His Highness A380” hebt über den Gärten von Versailles ab, eine französische Marianne erholt sich im neuen Business Class Sitz in royaler Kulisse von revolutionären Wirren (“Revolutionary Comfort”), ein weiblicher Sonnenkönig genießt seinen “Soaring Palace” in der neuen First und eine weitere Schönheit lädt mit einem Fächer aus raffinierten Gabel-Imbiss-Happen in der Hand ein: “Indulge in Haute Cuisine – Refined Menues by French Chefs“.

Ein argentinisches Fotografen-Duo, Sofia & Maur, hat die französischen Verheißungen visuell verpackt, denen es ähnlich geht wie den Innovationen von Lufthansa: noch sind sie größtenteils nicht mehr als Versprechen. Denn die neue Business Class wird erst ab Juni eingeführt und bis Mitte 2016 lediglich in 44 Boeing 777, nicht aber in die Airbus-Langstreckenflotte eingebaut. Und die neue “La Première” mit Wandverkleidungen in Leder-Optik ist zunächst sogar nur für 19 Maschinen vorgesehen.

1 Werbung für die neue Air France Business Class: Der Realität weit voraus. //
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“France is in the Air” – Überraschend: Den Claim gibt es nur in Englisch! – “betont die positiven universellen Werte, die Menschen mit Frankreich verbinden”, erklärt der Pressetext zur Kampagne: “französische Lebensart, Spirit, Luxusmarken und Michelin-Stern-dekorierte Chefs, die in Frankreich und darüber hinaus populär sind. Der neue Claim bekräftigt das Versprechen, beim Reisen mit Air France ein bisschen Frankreich genießen zu können”.

Meine französische Reise beginnt mit einem chinesischen Wein. Die Cuvée “Dragon Seal” in weiß und rot ist das exklusive, weil einzige Angebot in der “Premier Lounge” am Beijing Capital Airport, in der Air France und ihre Partner-Airlines der “Sky Team”-Allianz ihre Business-Class-Gäste und Statuskunden empfangen.

Das Terminal 2 des Beijing Capital Airport ist wie eine Zeitreise zurück in eine andere Ära. Damals. 2006. Die Zeit vor den Olympischen Sommerspielen, für die das neue Terminal 3 gebaut wurde, über das seitdem fast alle internationalen Flüge abgewickelt werden. Gefühlt ist es Jahrzehnte her, seit wir die langgestreckte Abflughalle von Terminal 2 mit der Sicherheitskontrolle vor dem Check-in-Bereich betraten und hinter der zweiten Sicherheitsschleuse durch lange Gänge mit niedrigen Gängen und grellen Neonlicht liefen. Der Duty-Free-Shop sieht genau aus wie damals, der Buch- und Zeitungsladen ist unverändert am gleichen Platz, Déjà vu.

Die Lounge ist ebenso antiquiert und aus der Zeit gefallen wie der Rest. Schmutzige Braun- und Beigetöne, verstaubte Zimmerpflanzen, Pseudo-Marmor, flackernde alte Röhrenmonitore mit den Abflügen. Gegen das kulinarische Angebot ist Starbucks ein Sternetempel. In einem großen Elektrotopf köchelt eine wässrige Minestrone vor sich hin, dazu abgepackte Fingersandwiches und die Reste vom Frühstücksbuffet – Brötchen mit Butter und Marmelade, süße Teilchen, dazu Tee oder Instant-Kaffee aus einer Nescafé-Maschine; der Schweizer Kaffee-Vollautomat von Jura für Espresso, Cappuccino oder Latte Macchiato ist außer Betrieb.

Bonjour Tristesse: Die “Premier Lounge” des Beijing Capital Airport ist wie ein Flashback in das China der 1990er Jahre.

Flug 381 nach Paris, Abflug um 1 Uhr morgens, boardet nur ein paar Meter weiter an Gate 11. Wie United auf dem Flug nach Peking nutzt Air France eine Boeing 777. Dass man sich in einem französischen Flugzeug befindet, merkt man nur auf der Bordtoilette: Pflegeprodukte von Clarins, weiche Tissues und Wattepads zum Abschminken vor der Nacht. Das Amenity-Kit ist französisch-schick in weiß mit rotem Reißverschluss, aber enthält als einzige Überraschung einen praktischen Schuhbeutel.

Ansonsten ist die Business Class im gleichen Zustand wie weite Teile der französischen Industrie: etwas in die Jahre gekommen und nicht mehr ganz wettbewerbsfähig. Sitze ohne Full-Flat-Funktion, 2-3-2 Bestuhlung mit unbeliebtem Mittelplatz, kleine Monitore mit unscharfem Bild.

af_2 TGV für die Langstrecke: Aktuelle Air France Business Class in der Boeing 777. //
© Air France

Trotz der vorgerückten Stunde begrüßt sich der halbe Flieger untereinander, irgendwie scheinen viele der Passagiere miteinander bekannt zu sein, Handschlag hier und da, “Bonjour”, Küsschen links und rechts, ein kurzer Plausch über die Lehne hinweg, “Bon vol”, “Bonne appétit”, “Bonne nuit”.

Abflug um 1.28 Uhr. Noch während des Steigfluges verteilen die Flugbegleiter die Menukarten, kurz danach Saunatücher, noch vor dem Erlöschen der Anschnallzeichen Champagner. Die Weine – ein weißer Burgunder von Joseph Drouhin und ein roter Saint-Estèphe – sind deutlich besser als das Essen auf Kantinen-Niveau, das um kurz nach 2 auf einen Schlag serviert wird: zwei kleine Scheiben Galantine von der Ente auf Salatgarnitur, Hühnchen oder Tortellini als Hauptgericht, eine Birnentarte als Dessert. Kein Käse, kein Baguette, dafür immerhin ein Espresso und ein Armagnac Hors d’âge als Digestif.

Rekordverdächtig: Nach 35 Minuten ist der Service abgeschlossen und die letzten Passagiere können sich schlafen legen. Gute Nacht.

Haute Cuisine über den Wolken – früher die französische Art des Reisens //
© Air France

Mit französischem Flair hatte das Ganze allerdings ebenso wenig zu tun wie mit der versprochenen “Haute Cuisine” von Sterneköchen. “The French art of travel is in our DNA, it’s our culture”, flötet Adeline Challon-Kemoun, Senior Vice President Air France Communications, im Press-Kit zur neuen Markenkampagne. “Air France aims to rank among the top 3 global airlines in terms of services.” Es gibt noch viel zu tun. Guten Morgen.

AF 381 fliegt über die Ostsee südlich von Gotland, als ich nach sieben Stunden Schlaf wieder aufwache. 10.972 Meter Höhe, 60 grad minus, verbleibende Flugzeit ca. 1.45 h. Es ist 10 Uhr morgens in Peking, 4 Uhr in Europa.

Das französische Frühstück erzählt uns die Geschichte der Globalisierung mit allen Tiefen und Schrecken: ein Omelette mit zwei blassen Würstchen (England), dazu Tomate und Frühstückskartoffeln (USA), gemischte Früchte (Orangen aus Spanien, Kiwi aus Neuseeland, Melonen aus China), Croissants mit englischer Marmelade (keine “Bon Maman” wie in jedem französischen Landhotel – Incroyable!) und ein Schweizer Joghurt (“Swiss Premium”) mit chinesischer Aufschrift. Eine nationale Airline als Botschafter ihres Heimatlandes – bei Air France gibt es den Gedanken vorerst nur in der Werbung.

Wer hätte das gedacht

Das raffinierteste Menu gibt es bei Lufthansa. Bei United, wo auf Kurzstrecken in Amerika die Erdnüsse gefühlt einzeln verteilt werden, herrscht die größte Opulenz: Große Gläser, großes Steak, großer Eisbecher und ein üppig befülltes Amenity-Kit. Dafür beherrscht Air France am besten die Kunst des schönen Scheins, wobei Euphemismen, Übertreibungen, Ankündigungen und faule Versprechen bei allen Airlines zum Geschäftsmodell gehören. Es ist wie mit dem blauen Himmel, der eigentlich farblos ist, uns aber mit dem tollsten Farbspektrum zu verzaubern sucht.

“Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein”, sang Reinhard Mey 1974 in seinem gleichnamigen Hit. Es war das Jahr, als die Airline-Industrie in Folge von Ölkrise, Überkapazitäten und Dollarschwäche erstmals weltweit in die Krise flog. Die Antwort damals: Preiskampf. Die Antwort heute: Service-Offensive. Das lässt hoffen.

Um 5.57 Uhr landen wir auf dem Flughafen mit den vielen Namen: Paris, Charles-de-Gaulle, CDG, Roissy. Mit 180 Meilen Geschwindigkeit setzt die 777 auf. Ende einer Dienstreise. Erst mal Pause. Der Pariser Salon, die nächste internationale Automesse, beginnt erst in fünf Monaten.

Über den Autor

Oliver Schrott ist gelernter Journalist. Nach mehrjähriger Tätigkeit für aktuelle Magazine sowie als Ressortleiter der "Auto Zeitung" machte er sich 1989 selbstständig und arbeitete als Autor für Automobil-, Marketing- und Wirtschaftsmedien. Parallel bekam er immer mehr Anfragen aus der Industrie, der Schritt in Richtung PR war damit vorprogrammiert. Seine Leidenschaft ist die emotionale und bildstarke Umsetzung und Inszenierung von komplexen Themen, was sich in Projekten wie dem "Opel Millennium Express", der weltweit beachteten Maybach Weltpremiere oder der Mercedes-Benz E-Klasse Langstreckenfahrt von Paris nach Peking niederschlug. Oliver Schrott liebt Frankreich, liest wie ein Staubsauger und ist stets auf der Suche nach coolen Apps, die ihm seine zahlreichen Dienstreisen erleichtern.

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