tl;dr

  • Roberst Scoble (50) „Futurist“ und „Startup Liaison Officer“ bei Rackspace; bekannt ist er insbesondere als professioneller Netzwerker und Autor
  • Virtual Reality und autonomes Fahren sind derzeit für Scoble die spannendsten Techniktrends
  • Selbst bei großen Unternehmen wie Google und Facebook prüft Scoble genau, ob sich der Besuch einer Presseveranstaltung lohnt
  • Auf Facebook und Co. möchte er nicht mehr verzichten: “Menschen, die verlangen, dass Facebook-Profile komplett privat werden, wollen uns in die Vergangenheit zurückversetzen.”

Als die Google Glass auf den Markt kam und von den ersten Testern unter die Lupe genommen wurde, war ein Bild im Netz sehr präsent: der Google-Glass-Träger unter der Dusche. Bei dem Mann handelt es sich um Robert Scoble, der sich durch sein Engagement in der Start-up-Szene einen Namen im Silicon Valley gemacht hat. Er spricht mit Gründern, bevor Seiten wie TechCrunch und Co auf die Newcomer aufmerksam werden. Die Interviews veröffentlicht Scoble auf building43.com. Sein Arbeitgeber, der Hostinganbieter Rackspace, führt ihn als „Futuristen“ und „Startup Liaison Officer“, bekannt ist er insbesondere als professioneller Netzwerker und Autor.

Scoble baute sich bei Microsoft und später auf seinem Blog „Scobleizer“ eine Community auf, mit der er heute nur mehr auf Facebook interagiert: „Die Welt hat sich bewegt und ist jetzt auf Social Media“, lautete damals seine Begründung. Mit dem Buch „Naked Conversations“ schaffte Scoble 2006 eines der Standard-Werke für das Bloggen. In seinem Nachfolgewerk „Age of Context“ beschrieb der Experte, welche Trends die Medien- und Tech-Welt in Zukunft prägen werden. Der 50-Jährige, der in Halfmoon Bay, etwas abgelegen vom Silicon Valley, lebt, verrät im Interview mit OSK, welche Techniktrends der Gegenwart es seiner Meinung nach in naher Zukunft in den Mainstream schaffen, warum er einem selbstfahrenden Auto mehr vertraut als Menschen und wieso er ab und an trotzdem noch gerne eine Vinylplatte auflegt.

3222756990_72247422bd_oFoto: Thomas Hawk

Robert, welche technischen Neuerungen kommen auf uns zu? Wie sieht die Zukunft aus?

Am spannendsten ist derzeit Virtual Reality, denn die Technik hebt das Geschichtenerzählen auf eine andere Ebene. Dazu braucht es auf der einen Seite natürlich guten Content für VR. Die Journalistin Nonny de la Peña zum Beispiel hat sich auf Virtual-Reality-Berichterstattung spezialisiert und eine Doku in Syrien gedreht. Wirklich faszinierend. Auf der anderen Seite steht der technische Aspekt. Denn für die Filme sind 360-Grad-Kameras erforderlich, und VR-Headsets müssen sich erst noch durchsetzen. Die kosten derzeit immerhin 1.500 bis 3.000 US-Dollar. Es gibt zwar schon billige Lösungen wie das Google Cardboard. Aber ich will natürlich das Beste. Ich möchte in eine Welt hineingezogen werden. Ich will so viele Polygone wie möglich entgegengeschmissen bekommen. Das ist derzeit für den Durchschnittsverbraucher noch zu teuer. Die Preise werden mit zunehmender Weiterentwicklung sinken, aber es wird noch eine Weile dauern, bis die Virtual-Reality-Technik den Mainstream erreicht. Deswegen habe ich auch 3.000 Dollar auf die Seite gelegt, damit ich zugreifen kann, wenn der richtige Moment gekommen ist. Na ja, ich bin natürlich auch seltsam.

Fahrerlose Autos sind die Zukunft.

Gibt es weitere Techniktrends, die Sie besonders interessieren?

Fahrerlose Autos sind die Zukunft und unsere Heime werden automatisiert. Ich war kürzlich im Levi’s Stadium in Santa Clara, einem Stadion für Sport-Events und Konzerte, um mir Taylor Swift anzusehen. Dort sind Tausende Beacons angebracht, die mir via Smartphone unter anderem ansagen, wo sich die nächste Toilette oder mein Sitzplatz befindet. Das sind Dinge, die mich bewegen.

Sie haben eben automatisierte Fahrzeuge erwähnt. Welche Neuerungen erwarten Sie sich denn im Automobil-Segment in der nahen Zukunft?

Ich hatte vor Kurzem die Gelegenheit, die neue Mercedes E-Klasse live in Aktion zu erleben. Es ist ein autonomes Fahrzeug, sein Fahrsystem ist technisch sehr fortgeschritten. Es folgt dem Auto vor dir, hilft dir, in der Spur zu bleiben und beim Einparken. Solche Features werden in den nächsten zwei Jahren immer häufiger werden. Vollständig selbstfahrende Autos werden wohl erst in fünf bis zehn Jahren kommen. Der Hauptgrund dafür ist, dass Menschen diesen Maschinen noch nicht vertrauen. Da sind wir komisch: 1,2 Millionen Menschen sterben jedes Jahr bei Verkehrsunfällen, aber der erste durch eine Maschine verursachte Unfall wird mehr Öffentlichkeit bekommen als diese riesige Anzahl. Hersteller müssen uns überzeugen, dass die Fahrzeuge vertrauenswürdig und sicher sind. Ich selbst traue ihnen – sogar mehr als mir selbst –, denn ich weiß, dass die Technik bestens funktioniert.

The car drives. Through turns. I want this. Don’t you? Thank you Mercedes!

Posted by Robert Scoble on Donnerstag, 7. Januar 2016

Quelle: Facebook

Würden Sie lieber in einem selbstfahrenden Auto sitzen, als selbst zu fahren?

Aber ja! Das hätte mir heute eineinhalb Stunden gespart, ich hätte dabei Filme gucken können.

Man liest mittlerweile quasi jeden Tag über neue technische Fortschritte und Gadgets. Wie schaffen Sie es, auf dem neuesten Stand der Branche zu bleiben?

Nach dem Aufstehen besuche ich die Tech-News-Plattform Techmeme, und dann lese ich Face­­­­book. Ich habe viel Zeit damit verbracht, meinen Account so zu optimieren, dass ich die relevantesten Infos aus der Tech-Branche sehe. Ich habe 5.000 Freunde, den Großteil davon in der Tech-Szene. So erfahre ich schnell, was in der Welt los ist. Außerdem sehe ich im Newsfeed Trends und Themen, die ich aufgreifen könnte. Vor zwei Jahren habe ich ein Buch darüber geschrieben, „The Age of Context“. Es geht darum, dass Informationen immer stärker personalisiert werden. Das zeigt zum Beispiel auch Google Now, der virtuelle Assistent von Android, und auch der Facebook-Newsfeed funktioniert kontextuell. Aber ich informiere mich natürlich auch auf Presseveranstaltungen.

Ich habe ein ganz gutes Gespür, um zu erkennen, was heiß ist.

Die Zahl der Events, zu denen Sie von Agenturen und Unternehmen eingeladen werden, ist sicherlich hoch. Wie entscheiden Sie, wo Sie hingehen?

Selbst bei Facebook, Google und Amazon möchte ich genau wissen, was sie mir zeigen wollen. Ist es eine neue Plattform, wird es in den meisten Fällen nicht besonders aufregend sein. Ich habe ein ganz gutes Gespür, um zu erkennen, was heiß ist. Zu Produkt-Demos in frühen Phasen gehe ich zum Beispiel sehr gerne. Für die PR-Leute heißt das: Wenn du willst, dass Leute zu deiner Veranstaltung kommen, reicht eine einfache Einladung nicht. Die meisten Journalisten haben keine Zeit und können nicht jede Pressekonferenz besuchen. Man muss klug an die Sache rangehen. Wenn du mich etwa einlädst, mir ein selbstfahrendes Auto anzusehen, dann komme ich auf jeden Fall. Denn ich will ja wissen, wie es sich fährt. Und wenn ich schon in einem selbstfahrenden Auto saß, will ich wissen, was sich in der Zwischenzeit verändert hat. Ich möchte einfach Dinge präsentiert bekommen, die mich umhauen. Unternehmen sollten demnach sicher sein, dass sie eine wirkliche Neuigkeit komunizieren können. Ein gut gepflegtes Netzwerk hilft natürlich auch, um die richtigen Leute zu einer Presseveranstaltung zu bekommen.

Zu meinem Freundeskreis gehört jemand, der an der Entwicklung des ersten iPhones beteiligt war. Er hat einen ziemlich guten Instinkt, was die Tech-Industrie angeht. Ich habe einige gut informierte Leute in meinem Umfeld, die mir Tipps geben, welche Pressekonferenz sich lohnt.

8647790129_73113414ab_kFoto: Thomas Hawk

Demnach ist es wichtig, die bekanntesten Fachjournalisten und -blogger bei der Veranstaltung dabeizuhaben. Wie hoch schätzen Sie den Einfluss der Tech-Szene auf Unternehmen ein, die ihr Produkt präsentieren?

Einfluss, das ist eine interessante Frage. Wenn Leute aus der realen Welt über Einfluss sprechen, dann meinen sie Menschen wie Bill Gates. Wer ist der Stärkste, wer hat die einflussreichste Marke, wer bekommt Präsident Barack Obama ans Telefon und jeden CEO und Promi in sein Haus? Im Silicon Valley bedeutet Einfluss allerdings etwas anderes: Hier sprechen wir oft über Einfluss in der Presse und in Social Networks. Wer hat die größte Macht, die sich dann durch die meisten Likes und Shares ausdrückt, also viele Menschen erreicht? Erst neulich habe ich mit Keith Teare, einem Mitgründer von TechCrunch, über die Reichweite der Seite gesprochen. Die erreichen pro Jahr 80 Millionen Hits. Dann fragt man sich, wie viel Einfluss ein TechCrunch-Reporter hat und wie andere Portale im Vergleich dazu stehen. Huffington Post hat zum Beispiel 200 Millionen Hits. Es geht auch immer darum, wie man Einfluss definiert.

Ich habe schon lange nicht mehr gebloggt und niemand vermisst es.

Und wie steht es mit dem Einfluss von Facebook? Ist Ihnen die Plattform noch immer wichtiger als Ihr eigenes Blog?

Ich habe schon lange nicht mehr gebloggt und niemand vermisst es. Ich frage bei meinen Vorträgen auf der ganzen Welt die Zuhörer immer, auf welchen Social-Media-Kanälen sie aktiv sind. 40 Prozent sind auf LinkedIn, 70 Prozent bei Twitter, auf Google+ fünf Prozent. Die Antwort ist immer gleich, egal ob ich in Dubai, Australien oder Deutschland spreche. Facebook nutzen fast alle, egal in welchem Land, und deshalb bin ich auch dort. Natürlich teste ich auch immer wieder neue Plattformen und interviewe Gründer, die neue Kanäle entwickeln.

17274113258_fed6a10983_kFoto: Thomas Hawk

Adblocker gehören ebenfalls zu den technischen Neuerungen, über die derzeit viel diskutiert wird. Was denken Sie, wie Adblocker die Medienlandschaft verändern werden?

Online-Werbung ist ein großes Problem. Auf Facebook sehe ich ständig Anzeigen, von 20 Beiträgen ist einer bezahlt. Ads sind überall, aber die Leute sind davon genervt und die Journalisten sehen davon kein Geld. Damit ich sehe, wie normale Personen eine Website konsumieren, benutze ich keine Adblocker. Allerdings schenke ich einer Werbung nur sehr selten Beachtung. Wie Medien ihr Angebot monetarisieren, bleibt also weiterhin eine große Frage. Sogar die New York Times kämpft, obwohl sie viele Online-Abonnenten hat. Bei der NYT ist es aber ein spezieller Fall, sie ist einzigartig. Für eine Lokalzeitung würde online niemand zahlen. Nachrichten werden zur Handelsware, jetzt ist die Frage, wie man daraus noch ein einträgliches Geschäft formen kann.

Autoren müssen unternehmerische Fähigkeiten aufbauen, die junge Generation macht das auch schon. Das ist die Generation, die auch Snapchat versteht und damit arbeitet. Junge Menschen verdienen auf neuen Plattformen wie Vine Geld, weil sie eine Marke geschaffen haben, unternehmerisch und verkaufsgetrieben denken. Da kommen manche Journalisten bei der New York Times nicht mehr mit. Du musst eigentlich alles probieren und sehen, was funktioniert. Es ist echt schwer, sich ein eigenes Business aufzubauen.

3933474441_76636a8435_oFoto: Thomas Hawk

Wo setzen Sie als Technologie-Fan Grenzen? Was würden Sie selbst durch technologische Innovation nicht verändern wollen?

In manchen Bereichen halte ich an alten Dingen fest, um mich daran zu erinnern, wie das Leben früher war. Ich höre zum Beispiel Musik auf Vinyl oder nehme manchmal eine schwere Nikon-Kamera aus den 1960er-Jahren in die Hand. Die ist quasi antik. Aber würde ich damit heute noch Fotos schießen? Natürlich nicht! Aber ich will ein bisschen in meine Kindheit zurückversetzt werden. Wenn ich mal ein selbstfahrendes Auto besitze, fahre ich wahrscheinlich auf einer Rennstrecke einen Wagen mit Gangschaltung, nur um dieses Gefühl wieder zu erleben. Würde ich das Leben meiner Familie in einem solchen Auto im Verkehr riskieren? Auf keinen Fall! Es gibt meiner Meinung nach nur wenige Beispiele, bei denen die altmodische Art, Dinge zu tun, noch besser ist als die neue.

Durch Innovation ändert sich auch Persönliches. In Deutschland reden alle immer über Privatsphäre. Ich habe meine Privatsphäre aufgegeben, aber nur zu gewissen Teilen. Man kennt meine Passwörter nicht, man hat meine Kreditkarte nicht und man kann mich nicht im Schlafzimmer beobachten, weil ich dort keine Kameras habe. Die Sachen, für die ich meine Privatsphäre ein Stück weit aufgebe, machen mir Spaß. Ich würde nicht mehr in einer Welt ohne Facebook oder Google+ leben wollen. Menschen, die verlangen, dass Facebook-Profile komplett privat werden, wollen uns in die Vergangenheit zurückversetzen.

Über den Autor

Michael Kemme ist Geschäftsführer bei Oliver Schrott Kommunikation. Seit 20 Jahren berät und betreut er Automotive-, Technologie- und Industrie-Unternehmen an der Schnittstelle von PR, Kommunikation und Marketing. Für den OSK Blog schreibt er über die Agenturwelt und den Medienwandel. Dabei greift er aktuelle Themen und Aspekte auf, die ihm im Rahmen seiner Arbeit für internationale Kunden und Marken begegnen. Michael Kemme ist Langstreckenläufer, Fußballfan und Tablet-Heavy-User. An Wochenenden ist er mit seinem Golden Retriever am Rhein unterwegs.

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